
Von 1972 bis weit in die 1980er galt der „Radikalenerlass“, nach dem „Extremist*innen“ nicht im öffentlichen Dienst arbeiten durften. Rund 1500 Menschen wurden entlassen oder gar nicht erst eingestellt, überwiegend wegen Aktivitäten für die DKP (Deutsche Kommunistische Partei). Heute wollen mehrere Bundesländer ähnliche Regelungen wieder einführen.
In den Medien ist dabei oft von „AfD-Beamten“ die Rede, die aus dem Dienst entfernt werden sollten. Schon die offiziellen Statements der Landesregierungen zeigen jedoch: es geht um alle sogenannten „Extremist*innen“. Wer das ist, definiert der Verfassungsschutz (VS), also die Inlandsgeheimdienste des Bundes und der Länder. Und die halten bisher die AfD nicht unbedingt für „extremistisch“, dafür aber sehr viele linke Gruppen, kurdische und palästinensische Vereine. Nach einem aktuellen Gerichtsurteil sind Linke, die den Kapitalismus ablehnen und sich dabei auf die Ideen von Karl Marx beziehen per se „extremistisch“.
In der Gesetzesplanung besonders weit fortgeschritten sind Hamburg und Schleswig-Holstein.
Hier soll bald der VS an jeder einzelnen Stellenbesetzung im öffentlichen Dienst beteiligt werden. Er kann zwar nicht direkt Bewerber*innen ablehnen, übermittelt aber im Rahmen der sogenannten „Regelanfrage“ Informationen an die Arbeitgeber*innen, die dann entscheiden dürfen, ob sie eine für extremistisch erklärte Person trotzdem einstellen oder nicht. Damit sie dabei nicht zu gnädig vorgehen, überwachen höhere Stellen das Verfahren und haben ein Vetorecht. Außerdem darf der Verfassungsschutz von sich aus Informationen über Beschäftigte im öffentlichen Dienst an deren Arbeitgeber weitergeben, um letztlich Disziplinarverfahren oder Kündigungen zu erwirken.
Eine halbe Million „Extremist*innen“
Diese Informationen bezieht der VS vor allem aus der bundesweiten Datenbank NADIS. Die umfasst Daten von ca. 500.000 mutmaßlichen „Extremist*innen“ (Angabe aus dem Bundes-Verfassungsschutzbericht 2024) – deutlich mehr, als die Mitglieder aller vom VS beobachteten Parteien und Organisationen zusammen. Aus welchen Gründen und wer darin gespeichert ist, bleibt das Geheimnis der Dienste. Möglicherweise reicht die Teilnahme an einer Antifa-Demonstration, wie in Leipzig im Juni 2023, wo alle 1300 Demonstrant*innen von der Polizei gekesselt und kontrolliert wurden und so im NADIS als Linksextremist*innen landeten.
Bisher hatte ein solcher Eintrag nur selten Konsequenzen im Leben der Betroffenen; mit der Einführung der Regelanfrage wird sich das für alle ändern, die im öffentlichen Dienst arbeiten oder sich dort bewerben möchten.
Warum das Ganze?
Nun fürchtet der Staat nicht wirklich, dass linke Erzieher*innen aus Kitakindern Revolutionär*innen machen oder Aktivist*innen die Ausländerbehörden infiltrieren, um Menschen zu Aufenthalt zu verhelfen. Es geht auch nicht in erster Linie um Nazis bei der Polizei. Wahrscheinlich werden auch einzelne Rechte in- und außerhalb der AfD betroffen sein. Das allerdings weniger wegen ihrer rassistischen und faschistischen Ideologie, sondern weil der Staat eine Handhabe haben will, um allzu unberechenbare Nazis und Reichsbürger*innen mit Verbindungen nach Russland oder China loszuwerden.
Vor allem soll die Regelfrage Menschen einschüchtern und davon abhalten, an Protesten teilzunehmen oder sich politisch zu organisieren. Damit ist sie Teil einer Aufrüstung nach innen, die mit der Kriegsvorbereitung nach außen einhergeht. Das derzeitige Level von Repression hat es in der BRD zuletzt in den 1980ern gegeben: Beispiele sind das versuchte Verbot des Rheinmetall-Entwaffnen-Camps in Köln Ende August und der 12-stündige Polizeikessel gegen die dazugehörige Demonstration, die Vereins- und Versammlungsverbote gegen palästinasolidarische Kräfte und die anhaltende Kriminalisierung von Solidarität mit der Bevölkerung in Gaza.
Gegenwehr nötig
Wir als Linke können die Regelanfrage auf keinen Fall akzeptieren. Der staatliche Repressionsapparat ist kein Mittel zum Kampf gegen den Faschismus. Politische Repression richtet sich nach den deutschen Gesetzen immer gegen „Extremismus“ allgemein und verfolgt Linke härter als Rechte.
Im Zuge des Rechtsrucks könnte schnell auch Die Linke als Partei im Visier des VS landen. In NRW wird schon heute die Linksjugend [‘solid] beobachtet, in Bayern der SDS.
Um unsere politischen Rechte zu verteidigen, müssen wir uns gemeinsam mit den Gewerkschaften klar gegen die Regelanfrage und andere Formen von politischer Repression im öffentlichen Dienst positionieren. In Hamburg haben ver.di und GEW bereits Veranstaltungen dagegen durchgeführt – ein guter Anfang, dem weitere Aktionen und offensive Öffentlichkeitsarbeit folgen müssen, auch in Schleswig-Holstein. Die anstehende Tarifrunde bei den Ländern ist dazu eine gute Gelegenheit.
Foto: Demo gegen Berufsverbot in Hamburg in den 1970er-Jahren. Logö78, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons